Leseprobe: Der Phol und der Zwirlezwack
„Deine Jungfräulichkeit wäre ein Geschenk für mich.“
Die sonore Stimme, die diesen Satz hauchte, bekam in den langen Gängen des Kellergewölbes unter dem großen Schloss einen dräuenden Nachhall. Es klang, als spiele der Wind in stürmischen Nächten mit den Wipfeln der Bäume. Die Worte wogten, kamen von vielen Seiten in Wellen zurück. In den Ohren der jungen Magd, die ihre vielfältigen grauen Röcke wie eine Kordel vor dem zitternden Körper zusammendrehte, lösten sie Erschrecken, aber auch bange Erwartung aus.
Sie war neu im Schloss, die junge Magd. Vor drei Tagen erst eingestellt zur niederen Arbeit in Küche und Keller, waren Mechthild weder die Örtlichkeiten noch die genaue Verrichtung der ihr aufgetragenen Arbeit hinreichend bekannt. So nahm es nicht Wunder, dass sie sich in den unendlichen Gängen unter dem Schloss verlief. In ihrer Not schrie sie lauthals um Hilfe. Zu allem Übel fiel ihr auch noch die Laterne aus der Hand. Die Flamme erlosch. Mechthild hatte gelernt zu beten, zu beten in aller Not. Von irgendwo werde ein Lichtlein herkommen, versprach ihr Gebet. Und so war es auch. Ob es am Gebet gelegen, oder an ihren Angstschreien, das blieb ihr gleich. Hell wurde es plötzlich um sie, ein unwirkliches Licht, aber hell genug, ihr die Tür zu zeigen, die zugefallen war. Vor dieser Tür aber stand, hoch aufgerichtet, ein junger Mann, der, wie es schien, ein blau schimmerndes Leuchten in den Händen trug.
„Ich dank Euch, Herr!“, stammelte die jungfräuliche Magd und machte einen braven Knicks. „Ich dank Euch! Könnt’ ich meine Ungeschicklichkeit nur wieder gut machen.“
Jedes einzelne Wort brachte das Echo wieder.
„Meinen Wunsch tat ich dir kund. Alles lässt sich wiedergutmachen. Wohl an, Mägdelein.“
Über diese befremdlichen Worte erschrak die Küchenmagd bis ins tiefste Innere. Das Frohlocken, welches in der Stimme des Unbekannten mitklang, blieb ihr nicht verborgen.
„Wüsste ich nur, wer er ist“, stammelte Mechthild in sich hinein und drückte die gerollten Röcke noch fester an ihren Leib. Ist er ein höherer Lakai? Oder gar einer der Fürstensöhne? Was nur tun?
Ihr Grübeln dauerte zu lange. Das bläuliche Licht, welches die Umrisse der rettenden Tür gezeigt, erlosch. Verschluckt von der Dunkelheit auch die Gestalt. Nur schwerer Atem war noch zu hören. Mechthild wusste nicht, ob er allein ihrem Munde entfloh.
„Dein Missgeschick wolltest du tilgen“, hörte die Magd von der lockenden Stimme, die ihr sehr nahe war. Und hörte zugleich ihr pochendes Herz.
„Schenk sie mir, deine Jungfräulichkeit …“, hallte es durch den Gang. Und plötzlich spürte Mechthild die Hand, die nach ihr griff. Willenlos war sie und wie betäubt. Wie in einer nahenden Ohnmacht nahm sie die Finger wahr, die ihr den Rock entrollten. Ihre Schürzenbänder lösten. Das Tuch von ihren Haaren zogen. Und auf einmal gab es keine Dunkelheit mehr. Keine Kälte. Was für eine Ohnmacht? Und warum?
Und plötzlich ist da ein Blitz. Ein Stich. Ein Schrei.
Das Mägdlein sieht den Blitz mit geschlossenen Augen. Spürt den Stich, der ihren Leib zerteilt. Hört den Schrei, der ihrer röchelnden Kehle entweicht. Ein Sog erfasst sie. Eine Sturmflut mit peitschenden Wellen. Danach ein maßloses Wallen, ein wildes Wogen. Wohin nur, wohin?
Als Mechthild wieder erwachte, wusste sie nicht, ob sie gestürzt oder was sonst mit ihr geschehen war. Am Boden, direkt neben ihrer Hand, stand ihre leuchtende Laterne. Die flackernde Flamme warf lange Schatten. Am Kerzenstummel flossen dicke Tropfen herab. Wie rinnende Tränen.
Mechthild erhob sich, ordnete sorgfältig ihre Kleider, band ihre Haare ins Tuch. Erst dann öffnete sie die schwere Eisentür.
ENDE DER LESEPROBE