3. Teil der Trilogie
„Der Lockruf des Kumm ocke”
Leon spürt schon früh, dass es zwischen seinen Eltern ein Geheimnis gibt. Während seiner langen Trainingsläufe als Langläufer sucht er zu ergründen, was die Eltern vor ihm verbergen.
Bei einem Marathonlauf in Prag stürzt Leon. Agnes, eine deutsche Sportlerin, kümmert sich spontan um ihn, woraus sich eine tiefe Beziehung entwickelt. Dies geschieht aber sehr zum Unwillen ihrer Väter. Während im Polen Józef, Vater von Leon, die Nazizeit mit all ihren Grausamkeiten noch nicht überwunden ist, liegt bei Agnes Vater, der Ärger über die Vertreibung der Deutschen aus Schlesien noch tief verwurzelt.
Als sich die beiden Väter das erste Mal begegnen, merken sie, dass sie sich von früher her kennen.
Ein großes Geheimnis lüftet sich und stellt Leon und seine Braut vor eine große Belastungsprobe.
Leseprobe |
SelectText öffnen> |
Maria Marischka
3. Teil der Trilogie
„Der Lockruf des Kumm ocke”
Roman
Lauf. Leon. Lauf!
Drei Worte, die eigentlich schon alles besagen. Über Leon. Kaum gelang es ihm auf krummstämmigen Minimalbeinen ersten Halt zu finden, begann er zu laufen. Sein Vater, der Gärtner Józef Krawiec, lockte ihn von Mutters Schürze.
„Lauf! Leon! Lauf!”
Die Mutter, Maria Krawiec, bangte hinter ihm her.
„Leon, mein Kind, sei vorsichtig.”
Für Leon gab es kein ruhiges Gehen. Leon lief. Leon rannte. Er rannte durchs Haus. Über den Hof. Rannte durch die Gärtnerei. Rannte in die Schule, rannte wieder heim. Selbst in die Kirche rannte Leon. Er lief. Spurtete. Dem Pfarrer wurde angst und bange, wenn Leon ministrierte. „Du trägst das Allerheiligste! Geh’ langsam!”
Leon mühte sich. Zwang sich. Zwischen Sakristei und Altar bezwang er sich. Vier Meter hin. Vier Meter zurück. Leon zügelte seine Beine. Danach regierten sie ihn wieder. Trieben ihn voran. Schnell. Unaufhaltsam. Sein Leben pulsierte allein in seinen Beinen.
Wen wundert’s, Leon wurde ein Läufer. Im ganzen Dorf lief keiner soviel wie Leon. Keiner so schnell wie Leon. So ausdauernd wie Leon. Als Leon den ersten Schulwettkampf gewann, sagten alle: Das haben wir gewusst. Als Leon das kleine Dorf beim Wettkampf gegen die Stadt zum Sieg führte, sagten sie: Das haben wir gewusst. Leon lief immer schneller. Zuletzt lief er sogar für sein Land. Für Polen. Da sagten sie nicht mehr: Das haben wir gewusst. Da sagten sie voller Stolz: Wer hätte das gedacht? Leon, der Langstreckler.
Die Felder hinter der Gärtnerei zogen sich weit hin. Leon kannte alle Wege. Bis hin zum Horizont. Noch vor Schulbeginn lief er seine Runden. Und am Abend, während die Sonne sank.
Der Vater rief: „Leon! Lauf! – Lauf! Leon! Lauf!”
Die Mutter: „Leon! Mein Kind. Sei vorsichtig!”
Die Nachbarin rätselte: Das viele Rennen ist nicht normal. Da muss was sein, vor dem der Junge wegläuft. Man spürts, da muss was sein. Der Junge trägt ein Geheimnis mit sich herum, wie andere ein Muttermal unter dem Auge. Mit Kartenlegen alles zu ergründen, misslang. Ein Zeitungsfoto, welches Leon beim siegreichen Zieleinlauf zeigte, wurde aufbewahrt und das Pendel der Nachbarin kreiste stundenlang darüber. Irgendwann würde die Nachbarin, die Grabowska, das Geheimnis lüften. Sie war sich sehr sicher.
Leon schluckte alles. Vaters täglicher Ansporn, wie auch Mutters stündliche Mahnungen zur Vorsicht beherzigte er. Beides. Was die Grabowska zischelte, die allgegenwärtige Nachbarin, von einem Geheimnis und so, tat er mit einem Lächeln ab, obwohl er eine stete Unruhe in sich fühlte. Aber wen ging das was an?
Die Felder hinter der Gärtnerei zogen sich weit hin. Leon lief bis zum Horizont. Noch vor Schulbeginn lief er seine Runden. Und am Abend, während die Sonne sank.
„Ich bin im Training”, lautete sein mit fliegendem Atem gesprochener Satz, mal nach rechts, mal nach links. Man musste gar nicht verstehen, was er hechelte, jeder kannte diesen Satz.
„Irgendwann werden ihm Flügel wachsen”, schmunzelten manche und mischten leichten Spott unter ihre Worte.
ENDE DER LESEPROBE
|
Roman
BoD 2008
ISBN978-3-8370-2541-5